02.03. – Proben und Reflektieren


Unser zweiter voller Tag in Lesotho startet nach einem Morgengewitter zunächst mit einem weiteren reichhaltigen Frühstück. Heute steht wieder sehr viel Probenarbeit an. Nachdem wir gestern Abend alle zusammen gesungen und getanzt haben, statten sich die MusikerInnen des Orchesters wieder mit ihren Instrumenten aus. Wir üben einige neue Stücke ein, die Thomas und Thabang bereits in Deutschland vorbereitet haben: Das Orchester ist also bereits mit Noten versorgt. Sollte doch eigentlich alles klappen, oder? Und trotzdem gibt es viel Feintuning: Die Einsätze werden noch mal neu arrangiert, Harmonien angepasst und natürlich die Dynamiken an die verschiedenen Stimmgruppen und SolistInnen abgestimmt. Auch für Thabang ist die Arbeit mit einem Orchester eine neue Aufgabe – eine Herausforderung, die er aber vollkommen intuitiv meistert.

Immer wieder wird unser kleines Paradies (in dem sich inzwischen auch einige andere deutschsprachige Besucher eingefunden haben) von kleinen Sommergewittern überzogen. Das tut der guten Stimmung aber keinen Abbruch.

Am Nachmittag gibt es eine neue Aufgabe: Nachdem wir in den letzten Tagen bereits schon sehr viele südafrikanische Lieber der Lesedis übersetzt haben, wollen wir jetzt ein paar Lieder in unserem Notensystem notieren. Wir teilen uns also in die einzelnen Stimmgruppen auf: Immer zwei Lesedis und zwei MusikerInnen der JKPh setzen sich zusammen: Die einen singen vor, die anderen versuchen das Gehörte in Notenschrift zu übersetzen… Und das klappt erstaunlich gut. Die ersten Gruppen sind bereits nach kurzer Zeit fertig; andere, kompliziertere Stimmen erfordern schon recht viel Anstrengung. Um das Ergebnis zu überprüfen finden sich nach einer Weile die jeweils vier Stimmgruppen (Sopran, Alt, Tenor und Bass) zusammen und singen den frisch notierten Satz. Für‘s Erste haben uns die Lesedis Lieder rausgesucht, die etwas einfacher zu notieren sind: Keine Vorschläge, gerade Takte und für uns ziemlich gut nachzuvollziehende Harmonien. Mal schauen, wie diese Arbeit wird, wenn wir an kompliziertere Stücke gehen: Triolen-Vorschläge, übergebundene Noten und was es alles für Spezialitäten in diesen wunderbaren Gesängen gibt...

Für so viel Arbeit haben wir uns erst mal ein großes Abendessen verdient. Unser Tagesprogramm ist aber noch längst nicht zu Ende. Abends treffen wir uns wieder in großer Runde und haben dieses Mal die Nachhaltigkeitsziele der UN auf dem Plan: Die sogenannten „Sustainable Development Goals“ sehen insgesamt 15 Punkte vor, durch die die Lage an den verschiedenen Orten dieser Welt eine bessere werden soll. Wir stellen uns aber heute zunächst mal die Frage, welche Dinge wir als dringend, wichtig und veränderungsbedürftig für eine bessere Welt sehen. Und das an die Gruppendiskussionen anschließende Gespräch in der großen Runde bringt zum einen viel Erwartbares, aber auch viel Erstaunliches zutage.

Von vielen wird der Zugang zu guter Bildung, einem verlässlichen Gesundheitssystem, Fragen des Umweltschutzes, Geschlechtergerechtigkeit und die Befriedung gewalttätiger Konflikte genannt. Vieles davon ist auch in den SDGs gelistet: Man merkt, dass diese Nachhaltigkeitsziele eine sehr große Allgemeinheit ansprechen wollen und dass sie sehr viele Anliegen sammeln, mit denen auch wir uns gut identifizieren können. Gerade wenn man die sehr konkreten Anliegen der Lesedis hört, merkt man jedoch, wie sehr solche allgemeinen Ziele an ihre Grenzen kommen: Die SDGs visieren ein nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum an. Von unseren südafrikanischen Freunden hören wir, dass ihnen vor allem die gigantische Arbeitslosigkeit Sorgen bereitet. Natürlich wünschen sie sich auch ein gutes Gesundheitssystem. Aber drängender steht ihnen das Problem der so weit verbreiteten Drogenabhängigkeit – speziell unter Jugendlichen – vor Augen. Auch ein gutes Sozialsystem ist für sie wünschenswert. Aber ist damit auch die prekäre Wohnungsnot und das Problem der vielen Schwangerschaften von noch jugendlichen Mädchen gemeint? Von uns Europäern werden Fragen der Digitalisierung und wie sich diese auf die Zukunft menschlichen Lebens als wichtige Themen angemerkt. Vielleicht ist einer der ganz wichtigen Schritte zu einer nachhaltigen Verbesserung dieser Welt, dass wir darauf hören, was Menschen in verschiedenen Kontexten, in unterschiedlichen Kulturen und in den verschiedenen Gegenden dieser Welt als bedrängend erleben. Eine der großen Aufgaben scheint daher am Anfang zunächst das Zuhören zu sein. Vielleicht ist ja das eine Fähigkeit, die wir als MusikerInnen besonders gut können.

Als ganze Gruppe fragen wir uns abschließend, welche Rolle eigentlich Kunst und Kultur im Ringen um eine bessere Zukunft spielen. Welche Auswirkung hat z.B. unser Musizieren, unser Singen und Tanzen auf gesellschaftliche Fragen hat. Nein, Musik ist nicht nur ein netter Zeitvertreib – da sind wir uns alle einig. Musik kann Veränderungen im Leben von Menschen und ihren Gesellschaften anstoßen. Genau damit wollen wir einen Unterschied machen: Mit Musik, mit dem Austausch von unterschiedlichen Stilen, mit dem gemeinsamen Arbeiten und Verbessern von kleinsten Details, die am Ende zu einem großen vielfältigen, polyphonen Ganzen zusammenwachsen. Fast alle Stücke, die wir in den nächsten Tagen und Wochen auf die Bühne bringen werden, versinnbildlichen das. Sie erzählen von Tragik wie von großer Hoffnung, von der Erschütterung und Unterdrückung aber auch von Befreiung und festem Glauben in eine gute Zukunft und ein Miteinander, das Konflikte überwindet.

Gefördert durch ENGAGEMENT GLOBAL mit Mitteln des BMZ

Kommentare

  1. Ich freue mich wie schon bei eurer Reise nach Ghana jeden Tag über euren Reisebericht. Es ist vor allem spannend zu lesen, wenn man die Lesedis und die Orte, in denen ihr seid, kennt. Da kann man sich sehr gut hineinversetzen.
    Vor ein paar Tagen haben ich im Kino den Film "Cresendo" gesehen. Er erinnert mich sehr an euch, auch wenn es doch ganz anders ist.
    Viel Spaß noch auf eurer Reise.

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